veröffentlicht auf der DKB-Homepage
Die Geschichte des London Fancy
Die Geschichte und Entwicklung der London Fancy ist eng mit der der Lizardkanarien verbunden, ja die Entwicklung beider ist als eine Einheit zu betrachten. Die Zucht des London Fancy war immer eng mit der Zucht der Lizardkanarien verbunden. In den Schriften des 19. Jahrhunderts heißt es, dass der London Fancy, wenn er das Nest verlässt, in Aussehen und Farbe mit dem Lizard identisch ist. Dies wird jedoch in entsprechenden Abbildungen falsch dargestellt, da junge Lizardkanarien noch keine Schuppen haben, sondern wie grüne Kanarienvögel aussehen. Über die Genetik der London Fancy ist nichts bekannt, da die Züchter damals keine Kenntnisse darüber hatten. Das meiste, was wir wissen, stammt aus mündlichen oder schriftlichen Überlieferungen.
Das goldene Zeitalter des London Fancy Canary lag zwischen 1770 und 1860. Um 1850 gab es acht Londoner Fancy-Clubs in der Region London.
Für sie wurden jedes Jahr zwei Veranstaltungen abgehalten, eine im November und eine im Dezember. Laut Claude St. John wurden von 1892 bis 1900 insgesamt knapp 200 London Fancies auf der „National Exhibition“ im Londoner Crystal Palace ausgestellt. Danach ging die Zahl der Züchter deutlich zurück. Der Grund dafür ist weitgehend unbekannt. Als Gründe werden Inzucht, Kreuzungen mit anderen Rassen und auch die Schwierigkeit, eine ausreichende Anzahl von Ausstellungsvögeln zu züchten, vermutet.
Bereits 1903 musste Robert L. Wallace schreiben:
„Diese Vögel sind selten, hübsch und teuer, und etwas zart und empfindlich in ihrer Konstitution. Sie sind bei vielen Londoner Züchtern sehr beliebt, aber wegen ihres Mangels an Ausdauer und Kraft in Verbindung mit den exorbitanten Preisen, die für gute Exemplare verlangt werden, sind sie bei der breiten Öffentlichkeit nicht sehr beliebt. In der Tat kann man davon ausgehen, dass sich diese Rasse derzeit in den Händen weniger Auserwählter befindet. Mr. W. Brodrick aus Chudleigh [Südwestengland], Mr. James Waller aus London und Mr. Thomas Clark aus Sutton in der Grafschaft Surrey sind wahrscheinlich die wichtigsten und erfolgreichsten Züchter.“
Erst 1908 waren wieder einige Exemplare im Crystal Palace zu sehen und 1909 stellten fünf Züchter 26 London Fancies aus. Der bekannteste Züchter bis zum Ersten Weltkrieg war Mr. A. G. Filby aus Ealing (London Borough). Zwischen den beiden Weltkriegen soll es einige völlig degenerierte Exemplare dieser Rasse gegeben haben, und es wird von einigen erfolglosen Rückkreuzungsversuchen berichtet.
Im Jahr 1928 gab es nur noch wenige London Fancies auf den Londoner Ausstellungen. 1927 gründeten Mr. Rogers und Mr. A. G. Filby einen neuen London Fancy Club, um die Rasse vor dem Aussterben zu retten. Sie hatten keinen Erfolg! Die London Fancy wurde als ausgestorben betrachtet.
Ab 1948 versuchte eine zunächst enthusiastische Gruppe von Züchtern (u.a. Theodore Nicholas Gill, Gordon Terence Dodwell, G. Scott) unter der Leitung von G. Frost, die London Fancy wiederzubeleben. Herr A. G. Filby berichtete von Border- und Norwich-Kreuzungen, um das Blut seiner Vögel aufzufrischen. Seinen Beschreibungen zufolge wollte diese Gruppe von Züchtern ihr Ziel erreichen, indem sie rotgrundige Melanin-Kanarienvögel, symmetrisch gescheckte Border und Lizard-Kanarienvögel, die eine zu große Kappe trugen („over cap“ und „baldfaced“), verpaarten. Einige Jahre später wurde dieser Versuch als völliger Fehlschlag aufgegeben, da nur viele bunte Vögel gezüchtet worden waren.
Erst im Jahr 1997 wurde diese Idee wieder aufgegriffen. Bernhardt Howlett gründete zu diesem Zweck den „New London Fancy Canary Club“ (LFCC), um die ausgestorbene Rasse wiederzubeleben. Auch hier wurden Versuche mit Baldface-Lizards, gleichmäßig gescheckten Fife Fancies und Farbenkanarienvögeln durchgeführt. Der wirkliche Durchbruch kam 2004, als Piet Renders aus Horst (Niederlande) den ersten modernen London Fancy züchtete. Er stellte diesen Vogel noch im selben Jahr auf der Meijels Pracht Show in den Niederlanden aus. Dieser Vogel wurde der Stammvater der modernen London Fancies. Auf der Vogelschau in Apeldoorn (Niederlande) im Jahr 2005 präsentierte Piet Renders einen Vogel, der optisch dem legendären London Fancy entsprach, und auf der Weltausstellung in Hasselt (Belgien) im Jahr 2013 stellte er einen nahezu idealen London Fancy aus. Piet Renders‘ Vögel mauserten sich von dunkel nach hell, genau wie die ursprünglichen London Fancies.
Im Jahr 2008 hatte ein alter Züchter in Kent, der Scots Fancies und Lizard-Kanarienvögel zusammen in einer Voliere hielt und züchtete, zwei Jungvögel, die einen völlig aufgehellten Körper und dunkle Flügel- und Schwanzfedern hatten. Steve Savage übernahm diese Vögel und kreuzte kontinuierlich Lizards ein. In den folgenden Jahren wurden neben vielen bunten Vögeln auch einige sehr vielversprechende Vögel gezüchtet. Die Qualität der britischen Vögel verbesserte sich jedoch erst ab 2017, als sie Vögel aus der niederländischen Blutlinie von Marko Dielen einsetzten.
Diese kleinen, aber wichtigen Erfolge inspirierten die Züchter und hauchten dem London Fancy Club neues Leben ein. Im Zusammenhang mit der Wiederbelebung der London Fancy wurden die Züchter Martin Walker, Andy Early, Marko Dielen, Piet Renders und natürlich Bernhardt Howlett bekannt.
Inzwischen werden die London Fancies jedes Jahr in Großbritannien und den Niederlanden ausgestellt. Im Jahr 2018 wurde ein Antrag auf internationale Anerkennung dieser Rasse gestellt. In der Zwischenzeit haben die Züchter mit ihren Vögeln alle Prüfungen erfolgreich bestanden. Die letzte Prüfung war im Dezember 2022 für die Gouden Ring Show in Belgien und wurde erfolgreich bestanden. Somit ist der London Fancy, nach Anerkennung auf der C.O.M. World Show in Neapel (Italien) im Januar 2023, – nach mehr als 100 Jahren – wieder eine anerkannte Kanarienrasse.
Beschreibung der Rasse
Der London Fancy ist ein Zeichnungs-Kanarienvogel, der in England und in den Niederlanden neu entstand. Das Hauptmerkmal ist das melaninfreie Kleingefieder und das stark melaninhaltige Großgefieder. Der London Fancy wird in den Farben gelb-schwarz intensiv (jonque), gelb-schwarz nichtintensiv (mealy) und weiß-schwarz anerkannt.
Kopf und Körper – 25 Punkte: Das Kleingefieder am Kopf und Körper sollten möglichst frei von Melanin sein; je weniger, desto besser. Es erscheinen Vögel, die in diesen Bereichen mehr oder weniger Melaninflecken aufweisen. Um diese wiederbelebte Rasse zu fördern, sollten solche Vögel nicht von der Bewertung ausgeschlossen werden, sondern müssen Punktabzüge hinnehmen. Dennoch sind diese Vögel für die Zucht wertvoll.
Flügel und Schwanz – 20 Punkte: Die Flügel- und Schwanzfedern müssen vollständig vorhanden sein. Die Flügel liegen eng am Körper an, ohne sich zu kreuzen oder durchzuhängen. Der Schwanz ist nur am Ende leicht eingekerbt und passt sich in seiner Länge harmonisch dem Körper an. Die Farbe der Flügelfedern, der großen Flügeldecken, der Handdecken und der Schwanzfedern sollte so dunkel sein, dass sie fast schwarz erscheinen. Bei Vögeln der braunen Serie ist ihre Farbe eindeutig dunkelbraun.
Flügeldecken – 15 Punkte: Die mittleren und kleinen Flügeldecken zeigen deutlich die Grundfarbe. Diese bildet auf dem Rücken eine halbmondförmige Abgrenzung – von Daumenfeder zu Daumenfeder (Alula) – zum dunklen Flügelgefieder.
Grundfarbe – 15 Punkte: Die gelbe Grundfarbe muss im gesamten kleinen Gefieder in gleichmäßiger Farbtiefe vorhanden sein. Aufgrund des schwarzen Untergefieders ist die gelbe Grundfarbe nicht zitronengelb wie bei den Farbenkanarien, sondern eher goldgelb. Intensive Vögel zeigen ein helles Goldgelb, nicht-intensive Vögel eher ein weicheres, helleres Gelb. An die Gefiederbeschaffenheit (Kategorie) werden die gleichen Anforderungen gestellt wie bei den Farbenkanarien. Mosaiken sind nicht erlaubt. Eine Farbfütterung in Richtung Orange oder Rot ist nicht erlaubt.
Die weiße Grundfarbe darf keinen Gelbstich aufweisen. Aufgrund des schwarzen Untergefieders ist das Weiß nicht so hell wie es bei reinweißen Kanarienvögeln gewünscht ist.
Gefieder – 10 Punkte: Das Gefieder soll fein sein, glatt am Körper anliegen und dem Körper fließende Konturen verleihen. Grobes oder loses Gefieder ist fehlerhaft.
Hornteile – 5 Punkte: Die Ständer, Zehen, Krallen und der Schnabel sollten schwarz oder zumindest so dunkel wie möglich sein.
Größe – 5 Punkte: Die Länge des Vogels beträgt 13,5 cm bei einer idealen Haltung von 45 Grad zur Sitzstange. Ein großer Kopf und breite Schultern werden als vorteilhaft angesehen.
Kondition – 5 Punkte: In dieser Bewertungsposition wird die Gesundheit und das Wohlbefinden des Vogels beurteilt. Der Vogel sollte sich ruhig und vertrauensvoll im Ausstellungskäfig bewegen.
Haltung und Zucht
Haltung und Fütterung entsprechen in allen Belangen den Farbenkanarien und den Lizards. Besonders zu beachten ist, dass sich die jungen London Fancies, die für Ausstellungen und Wettbewerbe bestimmt sind, nicht gegenseitig die Federn des Großgefieders ausreißen können, da die nachwachsenden Federn heller werden können, wie wir es auch von Lizardkanarien kennen. Bei guten Exemplaren ist ihr Großgefieder aber auch nach Jahren noch dunkel.
Frisch geschlüpfte London Fancies sehen aus wie junge Lizards. In Farbe und Zeichnung entspricht das erste Federkleid einem schwarzen Kanarienvogel oder einem Lizard. Die schwarzen Melanine bilden durchgehende Streifen auf dem Rücken, und das große Gefieder ist ebenfalls schwarz. Es kann auch eine Kappe vorhanden sein. London Fancies sind erst in der Jugendmauser zu erkennen. Im Idealfall verschwindet das schwarze Melanin im Kleingefieder vollständig. Was bleibt, ist die gelbe oder weiße Lipochromfarbe und das schwarze Untergefieder. Da das Großgefieder im ersten Jahr nicht gemausert wird, behalten diese Federn ihre schwarze Färbung. Der Grad des Melaninverlustes im Kleingefieder ist sehr unterschiedlich und nicht vorhersehbar. Es können Vögel mit viel oder wenig Melaninflecken entstehen – und auch Vögel, die dem idealen London Fancy entsprechen. Mit anderen Worten: Die Ausprägung des Merkmals kann von 1 % bis 99 % reichen.
Auch beim Lizard ist ein Melaninverlust festzustellen, allerdings nur in geringem Umfang. Die während der ersten Mauser gebildeten Federn speichern Melanin nur in der Mitte der Feder, nicht am Rand. Dort ist das Lipochrom deutlich sichtbar. Die dunkle Federmitte und der gelbe Federrand bilden das typische Spanglemuster des Lizard.
Den gleichen Effekt finden wir beim London Fancy, allerdings reicht die Ausdehnung des melaninfreien Federrandes bis in die Federmitte. Offenbar ist die Ausprägung des „Lizard-Gens“ um ein Vielfaches stärker als beim Lizard. Es wird vermutet, dass ein „Timer-Gen“ dafür verantwortlich ist, wann und in welchem Ausmaß der Melaninverlust auftritt. Ein London Fancy mit noch vorhandenen Melaninflecken kann nach jeder Mauser heller werden. In alten Schriften heißt es daher, dass alte Vögel immer komplett gelb sind. Heute ist es so, dass ein wirklich guter Londoner sein dunkles Großgefieder über die Jahre behält.
Leider ist es (noch) nicht möglich, dass eine Verpaarung von zwei idealen London Fancies nur ideal gezeichnete Vögel hervorbringt. Es gibt immer wieder Jungvögel, die mehr oder weniger Melaninflecken in ihrem Kleingefieder haben.
Quellen und weiterführende Literatur
C. St. John, C. A. House, G. E. Weston: Our Canaries. Published by Cage Birds, London, 1911.
W. Kolter: Der London Fancy. Der Vogelfreund 09/2006.
W. Kolter: Die Jagd nach dem verlorenen Schatz. AZ-Vogelinfo 04/2015.
London Fancy Canary Club. Unter: https://finespangledsort.com/london-fancy-show-standard
K. Rupp: Der London Fancy. Der Vogelfreund 2/2019.
N. Schramm: Kompendium-Kanarien, Band 3, Positurkanarien aus aller Welt. Books on Demand, Norderstedt, 2022.
H. Ueffing: Der London Fancy und der Spangled Back. 1986. Unter: https://vogelliebhaber-bocholt.de/unsere-voegel/positur-london-fancy/
R. L. Wallace: The Canary Book. Third Edition. London, New York, 1903.