veröffentlicht in der „AZ-Vogelinfo“ 01/2012 und im „Der Vogelfreund“ 06/2012
Anmerkungen des Autors (2024)
Ausgangspunkt dieser Arbeit war eine Zuchtrichterschulung im Oktober 2011, in der über die Farbe der Füße bei Achatkanarien diskutiert wurde. Obwohl Achatvögel als verdünnte Schwarzvögel gelten, sollen diese Vögel „fleischfarbene“ Füße haben – also dort keine Melanineinlagerung besitzen! Obwohl dies ein Widerspruch ist, werden solche Vögel im Ausland (Italien …) bevorzugt.
Heute (2024), also 13 Jahre später, erkennt man diesen Widerspruch und diskutiert wenigstens darüber.
Dieser Artikel war Grundlage für mein Werk „Farbenkompass für Kanarien“, das 2012 in Vertrieb ging. Eine zweite Auflage folgte 2014 und zusätzlich eine Auflage in französischer Sprache. Alle Auflagen hatten einen großen nationalen und internationalen Anklang gefunden.
Ungeachtet dessen fanden die Überlegungen zu den subjektiven Farbbegriffen keinen Einzug in die Standards dieser Welt. Es wird fröhlich weiter mit Farbbezeichnungen um sich geworfen, die bestenfalls nur der sehr eingeweihte Fachmann interpredieren kann.
Man will sich in den Standards (es sind Normen, nach denen gezüchtet und bewertet wird!) nicht festlegen. Man könne kein Lebewesen in eine technische Norm pressen; man könne die züchterische Entwicklung von Farbschlägen nicht behindern usw. usf. Somit bleibt es bei den ach so hilfreichen Farbbezeichnungen wie „hellgrau“, „fleischfarben“, „dunkelbraun“ …
Subjektive Farbbezeichnungen
Ist dieser Vogel tatsächlich rot oder nur orangerot? Welches Braun hat ein Braunvogel zu zeigen? Hat das Flächenmelanin die richtige Grautönung?
Diese und viele weitere Fragen beschäftigen die Züchter und die Preis-/Zuchtrichter der Farbenkanarien. Nun, man kann den aktuellen AZ/DKB-Standard oder auch den COM-Standard zu Rate ziehen und somit alle Fragen beantworten. Schließlich werden in diesen Werken die Farben ja beschrieben. Helfen uns die dort festgelegten Farbbezeichnungen tatsächlich?
Das ist ganz offensichtlich nicht der Fall! Allein der Begriff „Schokoladenbraun“ kann in der Gedankenwelt eines jeden Menschen anders interpretiert werden. Da die Farbe der Schokoladentafel abhängig vom jeweiligen Kakao- und Milchanteil ist, variiert die Farbe von gelbbraun bis schwarzbraun. Neuerdings werden auch andere Bestandteile zugemischt, die die Farbe weiter verändern – etwa Chili, was zu einer rotbraunen Farbe der Schokolade führt.
Diese subjektiven Farbbezeichnungen finden wir bei vielen Dingen in unserem täglichen Leben. So ist „Kirschrot“ keine exakte Farbbezeichnung, da es viele Kirschsorten mit ebenso vielen Rottönen gibt. Grasgrün, hellgelb, feuerrot, fleischfarben, hautfarben … Die Reihe der subjektiven Farbbezeichnungen lässt sich beliebig fortsetzen.
Farbensysteme
Jeder gesunde Mensch mit einem normalen Sehvermögen ist in der Lage, etwa 10 Millionen Farbnuancen voneinander
zu unterscheiden. In Abhängigkeit der körperlichen und geistigen Verfassung des Betrachters kann ein Farbton aber morgens anders empfunden werden als abends. Deshalb sind Farbtonempfindungen sehr subjektive Eindrücke und ein Farbton kann ganz unterschiedlich bestimmt und beschrieben werden.
Die Kultur in der wir leben, das Elternhaus in dem wir aufwuchsen und die Muttersprache, die wir erlernt haben, prägen unsere Farbempfindungen und die von uns angewendeten Farbbezeichnungen. So ist es völlig normal und nicht verwunderlich, dass jeder Mensch eine Farbbezeichnung mit einem mehr oder weniger unterschiedlichen Farbton assoziiert.
Diese Schwierigkeiten im Umgang mit Farbbezeichnungen hat die Industrie und Wirtschaft früh erkannt und mit Hilfe von Wissenschaftlern genormte Farbsysteme erstellt. Ohne ein genormtes Farbsystem ist es unmöglich, sich exakt zu orientieren und für alle verständlich zu kommunizieren.
Das älteste – und wohl auch bekannteste – Farbnormung ist das RAL-Farbsystem. Dieses geht auf eine Tabelle von 40 Farben zurück, die 1927 vom Reichs-Ausschuß für Lieferbedingungen erstellt wurde. Als RAL-Farben bezeichnet man normierte Farben, die heute das „Deutsche Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung“ (RAL-Institut) vertreibt.
Das zweite wichtige Farbsystem ist das Natural Color System (NCS). Dieses Farbsystem geht auf den Physiologen
und Hirnforscher Ewald Hering (1834 – 1918) zurück, das vom Physiker Tryggve Johansson zwischen 1937 und 1939 weiter entwickelt wurde. 1946 wurde es von Anders Hård zum modernen NCS-System verfeinert und beruht auf den Farbwahrnehmungen bzw. Farbempfinden eines durchschnittlichen, dem europäischen Kulturkreis angehörenden Betrachters.
Bei beiden Farbsystemen ist jeder Farbe eine Farbnummer zugeordnet. Somit ist ein exaktes Ansprechen einer Farbe möglich. Sprachbarrieren existieren nicht und subjektive Farbbezeichnungen werden ausgeschlossen.
Auch in der Farbenkanarienzucht gab es bereits ein Farbsystem. Julius Henniger entwickelte Mitte des vorigen Jahrhunderts Farbnormtafeln für Farbenkanarien (Aufgehellte und Melaninvögel) auf der Grundlage der Ostwald´schen Farbnorm (OF). Damit waren die damaligen Federfarben der Kanarien gut zu bestimmen und einzuordnen.
Leider kann heute kaum noch jemand auf die Farbnormtafeln Henniger´s zugreifen. Es wäre heute auch kaum zielführend, weil sich die Vielfalt und Ausprägung der Kanarienfarben seit Henniger enorm verändert haben.
Im heutigen Zeitalter der Computertechnik und dem weltweiten Datennetz kann jedoch jeder Interessierte auf das RAL-System unkompliziert zugreifen (z. B. bei https://de.wikipedia.org/wiki/RAL-Farbe).
Ausgehend von all diesen Überlegungen habe ich versucht, mit Hilfe des RAL-Farbsystems unsere heutigen Kanarienfarben in RAL-Farben zu erfassen. Damit wäre für Züchter und Zucht-/Preisrichter eine eindeutige Darstellung der in den Standards geforderten Farben möglich und ein wesentlich exakterer Vergleich zwischen gewünschter Standardfarbe und tatsächlich am Vogel vorgefundener Farbe möglich.
Die Entwicklung des Farbenkompass
Wie kann man dabei im Einzelnen vorgehen? Das RAL-System bietet in der Classic-Version 240 normierte Farben an. Im heutigen Zeitalter der Computertechnik muss man nicht auf die bekannten Farbkarten zurückgreifen. Es gibt mittlerweile entsprechende Computerprogramme, mit denen auf jedem Computer die RAL-Farben in allen Farbräumen dargestellt werden können. Computer arbeiten meist im RGB-Farbraum (Rot, Grün, Blau). Mit Hilfe des vom RAL-Institut entwickelten Programms lassen sich die RGB-Werte für jede Farbe ermitteln und in Zeichenprogramme übertragen. Auch für andere Farbräume (CMYK, Cielab) stehen die entsprechenden Werte zur Verfügung.
Ziel sollte es sein, für jede Lipochromfarbe und für jede Farbe der Zeichnungs- und Flächenmelanine unserer Farbenkanarien eine entsprechende RAL-Farbe zu finden. Für Pastellfarben und Farbmischungen können die gefundenen Standard-RAL-Farben mit Hilfe von Zeichenprogrammen angepasst und dargestellt werden. An Hand dieser gefundenen Farben kann man einen Farbenkompass für Farbenkanarien entwickeln und z. B. im Standard für jeden zugängig machen.
Obwohl wir es als Züchter und Preis-/Zuchtrichter mit Lebewesen zu tun haben – und somit ganz natürliche Schwankungen der Federfarben auftreten – kann ein Farbkompass für Farbenkanarien für das exakte Ansprechen und Beurteilen der Federfarbe hilfreich sein. Außerdem können mit exakten Farbvorgaben die gewünschten Zuchtziele eindeutig vorgegeben werden.
Einen ersten Versuch möchte ich hier vorstellen.
Aufgehellte
Die Farbe der aufgehellt weißen Kanarien lässt sich eindeutig mit der RAL-Farbe 9010 (Reinweiß) darstellen. Die RGB-Farbwerte lauten: Rot 250; Grün 249; Blau 239.
Im Farbsystem von Julius Henniger sind die Lipochromfarben von Gelb über verschiedene Orangetöne bis Rot mit den OF-Stufen von 1 bis 6 dargestellt worden. Henniger stellte in seinem Werk „Farbenkanarien“ von 1968 bereits fest, dass aufgehellte Rotvögel kaum über 5 ½ OF gelangen, die schwarzroten Kanarien jedoch die 6 OF durchaus erreichen können. Die Ursache liegt hier an dem schwarzen Untergefieder und der Vermischung von rotem Lipochrom und schwarzen Melanin. Auch die Praxis der heutigen Farbstofffütterung hat hier keine wesentlichen Fortschritte erzielen können. Lediglich die Anzahl der wirklich roten Vögel hat sich seit Henniger´s Zeiten drastisch erhöht.
Die heute zugelassenen Lipochromfarben Gelb und Rot können wir auch mit RAL-Farben darstellen.
Zu beachten ist hierbei, dass heute gelbe Vögel mit dem Zitronfaktor (entspricht RAL 1016 Schwefelgelb) gegenüber den goldgelben Kanarien (entspricht RAL 1004 Goldgelb) der Vorzug gegeben wird.
Melaninkanarien
Die Gefiederfärbung der Melaninkanarien setzt sich bekanntlich aus drei Komponenten zusammen:
– dem Zeichnungsmelanin
– dem Flächenmelanin
– der Grundfarbe (Weiß oder Lipochromfarben)
Bei fast allen Melaninkanarien soll ein Flächenmelanin vorhanden und erkennbar sein, von dem sich das Zeichnungsmelanin deutlich abhebt.
Bei fettfarbigen Melaninkanarien mischt sich jedoch die Lipochromfarbe mit dem Flächenmelanin zu einer neuen Grundfarbe. Lediglich bei den Weißgrundigen und in den Kreidezonen der Mosaikkanarien ist (oder sollte) das Flächenmelanin ohne weitere Farbbeimischung sichtbar sein.
Wenn sich das Flächenmelanin mit der Lipochromfarbe vermischt, kann man beispielsweise nicht mehr von einem anthrazitgrauen Flächenmelanin sprechen, denn aus dem anthrazitgrauen Flächenmelanin + der Lipochromfarbe
ergibt sich eine andere, neue Grundfarbe. Dies gilt für alle im Standard beschriebenen Farbschläge!
Klassische Schwarzvögel
Das Flächenmelanin soll Anthrazitgrau sein (RAL 7016; RGB: 55 63 67). Das anthrazitgraue Flächenmelanin in Verbindung mit einer Lipochromfarbe ergibt die Grundfarbe, die nicht mit der Farbe des Flächenmelanins gleichzusetzen ist. Für klassische Schwarzvögel ergeben sich somit folgende Grundfarben:
Klassische Achatvögel
In der Literatur wird Achat als ein reduziertes Schwarz (verdünnt Schwarz) beschrieben. Aufgrund dieser Melaninreduzierung wird aus dem schwarzen Zeichnungsmelanin der unverdünnten Schwarzvögel beim Achatvogel ein anthrazitfarbenes Zeichnungsmelanin (RAL 7016). Im Gegensatz dazu spricht man im COM-Standard von einem schwarzfarbenen Zeichnungsmelanin. Nach meinem Verständnis stellt diese Forderung dann keine klassische Melaninverdünnung mehr dar, oder es ist eine subjektive Farbbezeichnung, denn farblich liegen die
Farben Schwarz und Anthrazitgrau nicht weit auseinander.
Das Flächenmelanin wird im AZ/DKB-Standard als „grau“ beschrieben. Im COM-Standard wird lediglich ein „braunfreier Untergrund“ beschrieben und keine direkte Aussage zur Farbe des Flächenmelanins getroffen. Nur beim Mosaikvogel wird dort ein „sehr hellgrauer Zwischenraum“ zwischen der Zeichnung gefordert.
Auch beim Achatvogel mischen sich Lipochromfarben mit dem achatgrauen Flächenmelanin. Aufgrund des hellen Flächenmelanins treten die Lipochromfarben kräftiger hervor.
Aus der Vielzahl der Grautöne des RAL-Farbsystems habe ich für das Flächenmelanin die RAL-Farbe Achatgrau (RAL 7038; RGB: 180 184 176) gewählt.
Das achatgraue Flächenmelanin in Verbindung mit einer Lipochromfarbe ergibt die neue Grundfarbe, die nicht mit der Farbe des Flächenmelanins gleichzusetzen ist.
Für klassische Achatvögel ergeben sich somit folgende Grundfarben:
Klassische Braunvögel
Die wohl heftigsten Diskussionen gab und gibt es über die richtige Farbe der Braunvögel.
Das Flächenmelanin soll nach unserem Standard schokoladenbraun sein. Im RAL-System findet sich dazu tatsächlich eine Farbe gleichen Namens (RAL 8017 – vor 1945 als rotbraun bezeichnet), jedoch ist diese für das derzeit gewünschte Flächenmelanin viel zu dunkel.
Das Zeichnungsmelanin soll dunkelbraun sein und sich markant vom Flächenmelanin abheben. Da nach dem RAL-System das Schokoladenbraun bereits sehr dunkel ist, hilft die allgemeine Bezeichnung „dunkelbraun“ uns nicht weiter.
Auch im COM-Standard sind nur Allgemeinplätze zu finden (maximales Braun, braune Strichelung auf oxydierten Grund mit veränderten Phaeomelanin), die kein Mensch in sinnvolle Farbeindrücke fassen kann.
Wie bei fast allen Melaninvögeln mischen sich auch beim Braunvogel die Lipochromfarben mit dem signalbraunen
Flächenmelanin. Nur bei den Weißgrundigen und in den Kreidezonen der Mosaikvögel tritt das Flächenmelanin allein in Erscheinung.
Für klassische Braunvögel ergeben sich somit folgende Grundfarben:
Klassische Isabellvögel
In der Literatur wird Isabell als ein reduziertes Braun (verdünnt Braun) beschrieben. Aufgrund dieser Melaninreduzierung wird aus dem schokoladenbraunen Zeichnungsmelanin der unverdünnten Braunvögel beim Isabellvogel ein braunbeiges Zeichnungsmelanin (RAL 1011).
Es ist zu beobachten, dass das Flächenmelanin der Isabellvögel züchterisch immer mehr verdrängt wird und dann kaum in Erscheinung tritt. Nach meinem Verständnis stellt dies dann keine klassische Melaninverdünnung mehr dar.
Das Flächenmelanin wird im AZ/DKB-Standard als „beige“ beschrieben. Im COM-Standard wird lediglich ein „verdünnter Untergrund“ beschrieben und keine direkte Aussage zur Farbe des Flächenmelanins getroffen. Nur beim Mosaikvogel wird dort ein „sehr hell beiger Zwischenraum“ zwischen der Zeichnung gefordert.
Auch beim Isabellvogel mischen sich Lipochromfarben mit dem beigen Flächenmelanin. Aufgrund des hellen Flächenmelanins treten die Lipochromfarben besonders kräftig hervor.
Das beige Flächenmelanin in Verbindung mit einer Lipochromfarbe ergibt die neue Grundfarbe, die nicht mit der Farbe des Flächenmelanins gleichzusetzen ist. Für klassische Achatvögel ergeben sich somit folgende Grundfarben:
Anhand des RAL-Farbsystems lassen sich nicht nur die hier aufgezeigten klassischen Kanarienfarben farblich festlegen, sondern auch alle anderen nichtklassischen Melanin-Kanarienfarben.
Es wäre für alle Züchter und Preis-/Zuchtrichter sehr hilfreich, wenn an Hand von bereits existierenden Farbsystemen
ein Farbkompass für Farbenkanarien erstellt wird. Das gibt Klarheit in der Zuchtauswahl, in der Bewertung und – was ich noch wichtiger finde – legt gewünschte Zuchtziele fest, die künftig erreicht werden sollen.