6. Oktober 2024

Faszination Schecken

veröffentlicht im „Der Vogelfreund“ 12/2019

Eine der ersten Mutation, die bei Tieren auftritt, sind Scheckungen. Das bedeutet, dass an einigen Körperstellen Haare oder Federn kein Melanin besitzen. Diese teilweise Aufhellung des Fells oder des Federkleides hat die Tierzüchter schon immer interessiert. So finden sich zahlreiche Haustierrassen, die als gescheckte Tiere uns sehr vertraut sind, wie etwa die schwarzbunten Kühe, gescheckten Pferde, Kaninchen oder Katzen. Auch bei den von uns gezüchteten Vögel sind Schecken als eine erste Mutation aufgetreten, denken wir dabei an die Japanischen Mövchen, Reisamadinen, Zebrafinken, Wellensittichen und viele andere Arten. Auch der Kanarienvogel ist als Scheckvogel sehr beliebt. Es ist naheliegend, dass es sich bei allen gescheckten Tierarten um das gleiche Phänomen handelt.

Wie entsteht eine Scheckung?

Bereits in einem frühen embryonalen Stadium (Neurula) werden die noch farblosen Melaninzellen (Melanoblasten) gebildet. Diese Melanoblasten werden später das Melanin produzieren. Man nennt sie dann Melaninzellen (Melanozyten). Währen der weiteren Embryonalentwicklung wandern diese Melanoblasten aus der Neuralleiste in die mit Melanin zu färbenden Körperregionen und Organe (Haut, Federfollikel u. a.).

Eine vollständige Verhinderung der Melanoblasten-Wanderung bewirkt melaninfreie Vögel mit dunklen Augen, da ein Teil der Melaninzellen immer in der Nähe des Augenbechers verbleibt. Diese Mutation wird in der Biologie als Leuzismus (Farblosigkeit) bezeichnet. Kanarienzüchter nennen leuzistische Kanarienvögel „aufgehellte Vögel“.

Rückzugszentren
Rückzugszentren der Melaninpigmentierung

Eine nur teilweise Abwanderung der Melanoblasten – Biologen sprechen vom abgeschwächten Leuzismus oder vom Teil-Leuzismus – lässt die gescheckten Vögel entstehen. Körperregionen, die in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Zentralnervensystem stehen, sind von der Scheckung weit weniger betroffen als weiter davon entfernt liegende Körperteile. Der Ornithologe, Genetiker und Rassenhygieniker Dr. Julius Hans Duncker (1881 bis 1961) nannte diese Körperzonen „Rückzugszentren der Pigmentierung“.

Die Aufhellung vollzieht sich meist in der folgenden Reihenfolge: Schwanzmitte, äußere Handschwingen, Kehle, Flanken, Halsring, Bauch, Rücken (außer seiner Mitte), übrige Handschwingen, Brust, übriger Schwanz, Armschwingen und Rückenmitte (Sattel). Augen, Kopfregion, Hals, Armschwingen, Schultern, Rückenpartie entlang der Wirbelsäule, Unterbauch sind Bereiche, wo bei aufgehellten Vögeln am ehesten Melanin auftritt.

Aufgehellte Vögel ohne Melanin im Gefieder entstehen durch Auslesezucht. Es werden immer die Vögel miteinander verpaart, die die kleinsten Melaninflecken besitzen. Letztendlich entstehen so aufgehellte Vögel ohne Melanin im Gefieder. Da es im Grunde genommen immer noch Schecken sind, besitzen diese aufgehellten Vögel aber immer noch die Fähigkeit, Melanine zu entwickeln. Im Gegensatz zu manch anderen Wirbeltieren ist die Mutation des Leuzismus (Scheckung) bei unseren gescheckten Kanarien mit keinerlei körperlichen Nachteilen verbunden.

Es besteht weiterhin die Möglichkeit, das weniger Melanoblasten auswandern, die sich aber gleichmäßig über den Körper verteilen. Dann wird das Tier etwas heller gefärbt sein, behält aber seine Melaninzeichnung.

Schematische Darstellung der Melanoblastenwanderung. V.l.n.r.: vollständige Besiedelung aller Körperteile (wildfarbig); teilweise Wanderung der Melanoblasten erzeugt eine helle Scheckung; keine Wanderung, Melanoblasten nur noch im Auge erzeugt aufgehellte (leuzistische) Vögel; auch bei Albinos wandern Melanoblasten in die Körperregionen, können aber kein Melanin erzeugen – das bewirkt rote Augen.

Auch bei albinotischen Vögeln wandern Melanoblasten in die Haut ein. Aufgrund der Störung der Melaninsynthese können diese Pigmentzellen aber kein Melanin erzeugen und bleiben somit melaninfrei. Da auch die Melaninzellen der Augen kein Pigment erzeugen und demnach kein Melanin in der Iris einlagern können, sind die Blutgefäße der Netzhaut durch die Iris sichtbar und die Augen erscheinen rot. Die so entstehenden „echten“ Albinos (lat. albus = weiß) sind bei Kanarien noch nicht nachgewiesen.

Unsere „Inos“ (Albino, Lutino, Rubino) sind aufgehellt erscheinende Melaninvögel, die aus Kombinationen verschiedener Melaninvarianten (z. B. Phaeo x Satinet, Opal x Satinet) entstehen. Diese Vögel können auch genetische Schecken sein.

Schecken sind beliebt

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oben v.l.n.r.: Zügelschecke, Mückchen, Plättchen
unten v.l.n.r.: Sattelschecke, Hellschwalbe, Dunkelschwalbe Kombinationen sind zwischen allen Varianten möglich.

Die Zucht ansprechend gescheckter Vögel fasziniert seit langer Zeit viele Züchter. Besonders beliebt sind noch heute Vögel, deren Scheckung sich gleichmäßig über den Körper verteilt und der Betrachter diese Vögel als schön empfindet. Die Aufhellungen sollen deshalb in einem ausgewogenen Verhältnis zum verbleibenden Melanin stehen. Besonders ästhetisch empfinden wir Vögel, die symmetrisch gescheckt sind, d. h. auf jeder Körperseite sind die Melaninflächen gleich ausgebildet. Dieses Idealbild eines Schecken finden wir bereits in historischen Zeichnungen, wo Positurkanarienrassen mit dunklen Flügeln, Schwanz oder Haube dargestellt sind, obwohl bei diesen Rassen keine symmetrische Scheckung gefordert wurde. Aber die Maler empfanden solche Vögel offenbar schöner als ganz aufgehellte, ganz dunkle oder gar unregelmäßig gescheckte Vögel. Gleichgültig, ob Border, Norwich, Crest oder Yorkshire, die frühen Darstellungen zeigen sehr häufig symmetrische Schecken. Sie entsprachen in dieser Hinsicht dem Ideal des legendären London Fancy.

Sicherlich auch aufgrund dieser Darstellungen bemühten sich die Züchter viele Jahrzehnte lang symmetrisch gescheckte Vögel in reiner Form zu züchten. Gleichgültig ob Farben- oder Positurkanarien, symmetrische Schecken waren beliebt. Ein aufgehellter Haubenvogel mit dunkler Haube sieht eben schöner aus als ein Vogel mit einer „langweiligen“ hellen Haube. Beliebt sind auch die Hell- und Dunkelschwalben, Plättchen oder Mücke – für viele verschiedene Scheckungsgrade erfand man eigene Namen.

Borders painting
Norwich Crest

Historische Zeichnungen symmetrischer Schecken bei Border, Yorkshire, Crest und Norwich

Das Ziel der Züchter von Schecken ist es, möglichst oft eine beiderseitig gleichmäßige und schöne Scheckung zu erhalten. Ungeachtet der Euphorie war den Züchtern schnell klar geworden, dass es nicht einfach ist, einen Zuchtstamm aufzubauen, der in jeder Generation die gewünschten reinerbigen Plättchen oder Schwalben hervorbringt. Ja, es schien unmöglich und die wenigen auftretenden Exemplare wurden als Zufallserfolge abgestempelt. Deshalb wurden in den 60iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gescheckte Farbenkanarien aus dem Ausstellungswesen verbannt.

Bei den Positurkanarienrassen Rheinländer, Lancashire und aufgehellte Deutschen Haube darf im Gefieder keinerlei Melanin sichtbar sein. Nur in der Haube wird Melanin toleriert. Wenn man beim Lizard die melaninfreie Kappe außeracht lässt, darf auch diese Rasse keine Scheckung aufweisen. Bei allen anderen Positurrassen waren und sind bis heute Scheckvögel ein vertrautes Bild.

Außerdem sind in den letzten Jahren Positurkanarienrassen entwickelt worden, bei denen ausdrücklich eine Scheckung gefordert ist – der Harlekin, die Deutsche Rotschecke. Der Harlekin soll ein ausgewogenes Verhältnis der Melaninverteilung besitzen und die Deutsche Rotschecke soll auf mindestens 1/3 bis maximal 2/3 der Körperoberfläche Melanin zeigen.

Wenn auch beim London Fancy die dunklen Flügel- und Schwanzfedern auf eine andere Ursache haben, wirkt auch diese Rasse wie ein symmetrisch gescheckter Vogel. Übergangsweise werden auch London Fancys bewertet, die auf dem Rücken eine lizardähnliche Spanglezeichnung haben (Sattelschecke).

Bei den anderen Positurkanarienrassen sind alle denkbaren Scheckungsgrade zugelassen. Und trotzdem fallen dem Betrachter Vögel besonders ins Auge, die eine möglichst symmetrischen Scheckung haben. Sie werden oft schöner empfunden als unregelmäßig gescheckte Vögel obwohl dies kein Bewertungskriterium darstellen darf.

Genetische Ursachen

Auch die Wanderung der Melanoblasten wird durch Gene gesteuert. Am einfachsten wäre es, wenn die Melanoblasten-Migration (Scheckung) von nur einem Gen M gesteuert wird. Dann wäre M+_M+ der ungescheckte Melaninvogel, M+_M der gescheckte Vogel und M_M der ungescheckte, aufgehellte Vogel. Mit Hilfe dieser primitiven Erbformel können wir leider keinen Scheckungsgrad errechnen.

Durch Untersuchungen wissen wir, dass die Scheckung durch einen ganzen Genkomplex hervorgerufen wird. Es sind also mehrere oder gar sehr viele Gene beteiligt, wobei jedes Gen eine kleine Wirkung hat, die sich zu einem Gesamterscheinungsbild ergänzen. Mit anderen Worten: diese polygenen Merkmale addieren sich zu einem Ganzen.

Die gleichen theoretischen Überlegungen stellte bereits Dr. Hans Duncker in den 30iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts an. Duncker ging davon aus, dass mindestens drei frei vererbende (autosomale) Gene den Grad der Scheckung bestimmen. Er nannte sie einfach A, B, C und stellte eine Tabelle der Scheckungsgrade mit den entsprechenden Erbformeln auf (siehe Tabelle 1). Nach Duncker sollen alle drei Faktoren eine gleichsinnige Wirkung haben, wobei C die stärkste Wirkung hat und A niemals vollständig ausfällt. Alle Faktoren würden intermediär zueinander vererben und hätten in doppelter Quantität eine größere Wirkung als in einfacher Quantität. Somit würde AA BB CC mehr Melanin aufweisen als Aa BB CC und dieser wiederum mehr als Aa Bb CC.

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Darstellung der verschiedenen Scheckungsgrade, Bezeichnungen und Erbformeln nach Duncker (verändert)

Mit Hilfe des Vererbungsquadrates kann jeder die Nachkommen der verschiedenen Scheckungsverpaarungen berechnen. Das hat Duncker in den Jahren 1922 und 1923 getan und mit entsprechenden Verpaarungen praktisch überprüft. Die Auswertung der insgesamt aufgezogenen 517 Jungvögel bestätigten im Wesentlichen seine theoretischen Überlegungen.

So sind aus der Verpaarung zweier aufgehellter Vögel (6 mit 6) 39 Aufgehellte, 18 gezeichnete und 3 Schwalben gefallen. Heute sollte die Anzahl der Aufgehellten deutlich größer sein und keine Schwalben entstehen, da der Selektionsgrad heute wesentlich größer ist als vor 100 Jahren. Ein hoher Selektionsgrad verringert die erbliche Varianz deutlich.

Den heutigen Erfahrungen gemäß entstehen aus ungescheckt dunklen Vögeln (0) verpaart mit aufgehellten Vögeln (6) nur Schecken. Die meisten Nachkommen sind in die Stufen 2 bis 4 einzuordnen. Bei Dunker traten weder Aufgehellte noch Melaninvögel auf und von den Gezeichneten und Schwerbunten waren nur wenige vertreten.

Der interessierte Züchter kann die anderen Möglichkeiten ausrechnen und anhand seiner jahrelangen Zuchtbuchaufzeichnungen die Richtigkeit kontrollieren. Dabei muss aber die erbliche Varianz seines Zuchtstammes beachtet werden. Werden über viele Generationen nur gänzlich aufgehellte Vögel (6) miteinander verpaart, verringert sich die Varianz der Erbfaktoren immer mehr. In solchen durchgezüchteten Stämmen kommen nur sehr wenige Vögel vor, die eine – meist sehr kleine – Scheckung zeigen. Analog gilt das auch für die Melaninvögel (0). Werden Vögel beider Zuchtstämme miteinander verpaart (6 mit 0) ist die genetische Varianz plötzlich wieder ungemein groß.

Die Varianz der zu betrachtenden quantitativen Merkmale kann man berechnen und in einer Kurve darstellen. Anhand dieser Normalverteilungskurve ist die Wahrscheinlichkeit des zu erwartenden Scheckungsgrades der Nachkommen ablesbar. Die Schwierigkeiten bestehen darin, die Elternvögel möglichst exakt dem jeweiligen Scheckungsgrad zuzuordnen und dabei die erbliche Varianz durch langjährige Selektion zu berücksichtigen. Darüber hinaus muss eine möglichst hohe Anzahl an Jungvögeln aus den jeweiligen Verpaarungen erzüchtet werden, um genügend viele Daten für die statistische Auswertung zu bekommen.

Mit der Vererbung der Scheckung bewegen wir uns auf dem Gebiet der quantitativen Genetik. Diese befasst sich mit den erblichen Komponenten von Merkmalen, die durch das Zusammenwirken vieler Gene bestimmt werden, und die auf einer Skala gemessen werden können. Quantitative Merkmale sind all jene Merkmale, die durch fortwährende Selektion kontinuierlich in die eine oder andere Richtung beeinflusst werden können. Das sind z. B. die Körpergröße, das Körpergewicht, die Körperform, die Federlänge, die Federtextur, die Anzahl gelegter Eier und auch der Scheckungsgrad. Zusätzlich können diese Merkmale durch äußere Umwelt- und Ernährungsbedingungen beeinflussbar sein. Bei einer Melaninscheckung haben Umwelteinflüsse jedoch keine Wirkung.

Normalverteilung
Darstellung der Normalverteilung der zu erwartenden gescheckten Nachkommen aus Verpaarungen zweier Vögel mit unterschiedlichen Scheckungsgrad.

Mit all diesen Überlegungen, Berechnungen, eigenen Erfahrungen und Fingerspitzengefühl können wir den Scheckungsgrad unserer zu züchtenden Vögel beeinflussen und in gewisse wahrscheinliche Bahnen lenken – und dabei die entstehenden beiden Extreme an den Kurvenenden vernachlässigen – eins können wir jedoch nicht: symmetrische Schecken gezielt züchten!

Quellen und Literatur

Dunker, Hans: Kurzgefaßte Vererbungslehre für Kleinvogelzüchter unter besonderer Berücksichtigung der Kanarienvögel und Wellensittiche. Verlag Dr. F. Poppe, Leipzig C 1, 1929.

Hiorth, Gunnar Eilert: Quantitative Genetik. Springer Verlag, Berlin, Göttingen, Heidelberg 1963. Unter: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-642-88018-6

Rotach, P.: Quantitative Genetik. Version 08.2000. Unter: https://ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/usys/ites/waldmgmt-waldbau-dam/documents/Lehrmaterialien/Skripte/Forstgenetik/quantitative%20genetik-repro.pdf

Tautz, Diethardt: In der Menge liegt die Wahrheit. Unter: https://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/vererbungslehre-in-der-menge-liegt-die-wahrheit-16224807.html

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